„Hier in Hamburg bin ich glücklich!“

Schülerinnen und Schüler aus zwei Schulformen tauschen sich aus.

Angehende Industriekaufleute treffen gleichaltrige Migranten.

Die Stimmung ist gut im ersten Waggon der U-Bahnlinie U2 auf unserem Weg zum Hauptgebäude der BS 26, der Beruflichen Schule für Wirtschaft Hamburg - Eimsbüttel. Der junge Ägypter Karim* erzählt von seinem Vater, der einst die Uni in Kairo besuchte, aber nun im Alter von den Feldfrüchten seines Gartens leben muss. Sein Klassenkamerad Baran ört wie fast immer aufmerksam und verhalten lächelnd zu. Nicht einen Schultag hat Baran im letzten Jahr versäumt! Vor einer Woche vermochte Barans Familiengeschichte die Klasse zu berühren und zu belustigen: Fünfzehn Kinder hatte sein Großvater in Afghanistan mit drei Frauen gezeugt und immerhin noch fünf sein Vater nunmehr mit einer Frau.Baran selbst möchte später Vater von ein oder zwei Kindern zu werden. Die überraschende Begründung des 18-jährigen Afghanen: „Mehr will ich nicht und mehr ist in Deutschland nicht üblich!“


Vor wenigen Tagen haben „meine Mufls“ (Behördenkürzel für „minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge“) die Klausuren für ihren ESA (Ersten Schulabschluss) geschrieben. Nun freuen sie sich über eine berraschende Einladung: Die gehenden, etwa gleichaltrigen Industriekaufleute der Klasse IK 1541 möchten mit ihnen ins Gespräch kommen, nachdem ich den Berufschülerinnen und Berufsschülern als ihr Fachlehrer von meinem Unterricht in der Migrantenklasse VJM-15 erzählte.


Genau wissen Karim, Nabil und abri aus dem Nahen Osten, Baran aus Afghanistan und Amir, Issa und Jabori aus Zentralafrika sowie die zierliche und muntere Viola aus Curacao nicht, was sie erwartet. Aber neugierig sind sie, deshalb seilt sich auch keiner unterwegs ab…


Liegen wirklich nur ein paar U-Bahnstationen zwischen der Zweigstelle Lutterothstraße und dem Hauptgebäude Schlankreye der BS 26? Oder fahren wir innerhalb von Eimsbüttel in eine andere Welt?


Die zwanzig Azubis, alle Abiturientinnen und Abiturienten, begrüßen uns freundlich. Die Atmosphäre ist von Beginn an unkompliziert. Und doch ist es bewegend, als die jungen Flüchtlinge und Einwanderer sich anfangs der Reihe nach kurz vorstellen und zeigen, dass sie in Hamburg ganz passables Deutsch auf A2 und vereinzelt B1 – Niveau gelernt haben: „Ich bin Nabil. Ich bin 18 Jahre alt. Ich komme aus Ägypten. Jetzt lebe ich in Altona.“


Schnell haben sich Gesprächsgruppen gebildet. Etwa vier angehende Industriekaufleute stellen einem oder zwei Migranten Fragen und beantworten Gegenfragen. Es wird formuliert und umformuliert, es werden Komplimente gemacht („Whow, du sprichst nach 2 Jahren aber schon gut Deutsch, Issa!“), es wird gelacht und auch mal gestaunt. Neugier aufeinander, auf die so krass unterschiedlichen Welten, die sich hier treffen, und gegenseitiger Respekt prägen die Gespräche. Issa himmelt aus der Ferne Julia an, traut sich dann aber doch nicht, direkt mit ihr ins Gespräch zu kommen und amüsiert stattdessen mit seinem afrikanischen Jungmänner-Charme zwei andere Berufsschülerinnen. Aber er sagt auch einen Satz wie: „Auf der Flucht war ich traurig. In Hamburg bin ich glücklich.“ Nachdenklich verzichten die Berufsschüler darauf, ihn genauer nach den Umständen seiner langen Flucht von Afrika nach Europa zu befragen.


Worüber gesprochen wird? Über Chancen und Hürden, über die so unterschiedlichen Lebens- und Ausbildungswege, über die dritte und die erste Welt, über die Mühsal Deutsch zu lernen und Schulwissen nachzuholen, über die Fremde, die hoffentlich zur Heimat werden wird und die Heimat, die in immer weitere Ferne rückt. Und über Hamburg, die anstehende Fußball-EM, über Freizeit, Clubs und Musik.


Am Ende ist Issa not amused darüber, dass die Gespräche nach 90 Minuten schon vorbei sein sollen und wir das Meeting mit einem Gruppenfoto beschließen: Vor dem Smartboard mit der Zeitungs-Headline vom Vortag „Angela Merkel: „ Lernt einfach mal einen Flüchtling persönlich kennen!“ schauen etwa 30 junge Hamburgerinnen und Hamburger entspannt in die Linse meines Smartphones. „Sowas können wir bald mal wieder machen,“ meint der Deutsch-Grieche und angehende Industriekaufmann Alexandros beim Hinausgehen.


* Die Namen der Migrantinnen und Migranten wurden geändert
Eckhard Kreitlow
Lehrer an der Beruflichen Schule für Wirtschaft Hamburg – Eimsbüttel (BS 26)

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